Schmunzelgeschichte 1. Teil (von Daniela):

14.11.2015/15.11.2015 Lindau

Nach einem interessanten und lehrreichen Tag in meinem Weiterbildungskurs in Lindau/DE geniesse ich es, nach dem langen still sitzen kräftig ausschreiten zu können.

Leider habe ich die Wegbeschreibung zu meinem Hotel zuhause liegen gelassen, so suche ich mir meinen Weg zur Unterkunft in die bereits bekannte Richtung, kombiniert mit einer tüchtigen Portion Bauchgefühl. Ein klärender Telefonanruf beim Wirt leitet mich schlussendlich zu meinem Ziel.

Nach dem Eintreten durch die doppelte Eingangstüre bahne ich mir mit vielen Entschuldigungen einen Weg durch den völlig mit Barhockern versperrten und widerwillig ein Stückchen zur Seite rückenden Männern darauf, die konzentriert das mir verborgene Geschehen im Nebenraum mitverfolgen. Ich versuche, durch die vielen Leute hindurch den Blick des Wirtes zu erhaschen, der emsig hinter der Theke herumwerkelt. Als er mich schliesslich entdeckt, bietet er mir ein Getränk oder den Weg zum Zimmer an. Gerne wähle ich die zweite Variante und werde eine enge, steile Treppe hochgeführt, während der Wirt mir erklärt, dass genau heute Abend die jährlich stattfindende Dart-Meisterschaft stattfindet.

Im ersten Stock übergibt mir die freundliche Wirtin den Schlüssel und der Wirt bringt mich bis zum Zimmer und weist noch darauf hin, dass ich darauf achten soll, nicht über die direkt vor meiner Zimmertür auf dem engen Gang abgestellte Kommode zu stolpern. Stunden später kann ich über diese Fürsorge schmunzeln, da ich mit anderen Problemchen zu kämpfen haben werde.

Ich beziehe mein Zimmer und geniesse eine erfrischende Dusche. Einen Sauberkeitspreis würde das Hotel wohl nicht gewinnen, doch das Bett ist mit wohlriechender Bettwäsche bezogen, was die muffig riechenden Tücher im Bad ein wenig vergessen lässt.

Ich atme tief durch und beschliesse, allen Mut zusammen nehmend, dass nun der Zeitpunkt gekommen ist, in welchem ich endlich wieder zu meiner früheren Stärke und Zuversicht zurück finden und meine vermaledeite Sozialphobie bezwingen muss und will und ich gehe langsam die Treppe hinunter zurück in den Gastraum, da ich meinem Partner, der mir liebenswürdigerweise diese Unterkunft im hoffnungslos ausgebuchten Lindau besorgt hat versprochen habe, dass ich brav eine Mahlzeit zu mir nehmen werde.

Ich setze mich an einen der freien Tische und schaue mich im Gastraum um. An den zwei gegenüber liegenden Tischen sitzt eine bunt gewürfelte Gesellschaft. Als Türwächter für die sich ständig zwischen uns öffnende Türe in den Bier-, äääh Rauchergarten sitzt ein älterer Herr quer auf dem Stuhl und schliesst unentwegt brummig und mit bösem Blick auf den jeweiligen Übeltäter geduldig die Tür wieder und wieder, damit die Kälte nicht zu lange in den Gastraum dringen kann. Ihm gegenüber setzt sich ein einfach gekleidetes älteres Paar, nachdem es seine Edeka-Tüte mit Einkäufen sorgsam draussen im Biergarten hingestellt hat. Die Frau kriegt von der eilfertig zu ihr watschelnden Wirtin ein Glas Wasser, der Herr ein Glas Bier und beide eine warme und überschwengliche Begrüssung, die offenbart, dass sie sich über die Ankunft ihrer Lieblingsgäste freut.

Mir kommt unweigerlich der Schlager von Peter Alexander in den Sinn, der so hübsch „Die kleine Kneipe in unserer Strasse“ besingt:

Der Abend senkt sich auf die Dächer der Vorstadt,

Die Kinder am Hof müssen heim.

Die Krämersfrau fegt das Trottoir vor dem Laden,

Ihr Mann trägt die Obstkisten rein.

Der Tag ist vorüber, die Menschen sind müde,

Doch viele gehen nicht gleich nach Haus.

Denn drüben klingt aus einer offenen Türe,

Musik auf den Gehsteig hinaus.

Das freundliche Lächeln gefriert der Wirtin, als sie zur Theke der kleinen Kneipe zurück kehrt und dort einen an die Theke lehnenden Mann mittleren Alters entdeckt, der leise fragt: „krieg ich einen Kaffee?“ Es arbeitet im Gesicht der Wirtin und sie wendet sich ihm schliesslich mit der ganzen Grösse ihrer 1.60 m-Postur zu und zischt ihn an: „Letztes Mal, als Du hier warst, hast Du grosse Töne gespuckt, dass es viel bessere Lokale als das unsrige gebe – nun kannst Du meinetwegen in eines dieser anderen Lokale gehen, um Deinen Kaffee zu trinken.“ Mit Todesverachtung im Gesicht wendet sie sich demonstrativ der Abwaschmaschine zu und trocknet energisch Gläser ab. Der Mann bleibt noch ein Weilchen stehen und verlässt dann mit hängenden Schultern das Lokal.

Leise trällere ich innerlich den Refrain von Peter Alexanders Schlager aus den 80er Jahren:

Die kleine Kneipe in unserer Strasse,

Da wo das Leben noch lebenswert ist.

Dort in der Kneipe in unserer Strasse,

Da fragt dich keiner, was du hast oder bist.

Es gelingt mir endlich, mir ein Nachtessen beim Wirt zu bestellen und bald schon steht ein erfrischendes Radler vor mir. Vergnügt beobachte ich das rege Treiben um mich. Jede und jeder, der sich zum Rauchen nach draussen begibt, wirft mir ein paar Worte oder zumindest ein Lächeln zu. Ich werde von eifrigen Dartspielern über den wichtigen Wettkampf aufgeklärt und gebeten, die Daumen zu drücken, was ich natürlich hoch und heilig verspreche. Zeit genug habe ich, der Wirt scheint keine Eile damit zu haben, sich für die Zubereitung meiner Rösti in die Küche zu begeben. Ab und an nickt er in meine Richtung und murmelt – wir hätten ja wohl keine Eile, oder?

Ich amüsiere mich viel zu sehr, als dass ich mich über diese Verzögerung böse sein kann, obwohl mein Magen immer lauter zu knurren beginnt.

Eine alte Frau humpelt mühsam am Gehstock gehend ins Lokal und begibt sich zum hinteren Tisch, an welchem bereits ein sie freudig begrüssendes Ehepaar sitzt. Sie hat einen freundlich wedelnden kleinen Hund im Schlepptau, der sich riesig darüber freut, dass er von allen Seiten mit Namen und Streicheleinheiten empfangen wird. Die alte Dame setzt sich ächzend hin und vermerkt, dass ihre alten Beine sie kaum mehr tragen wollen. Bald schon steht die andere Frau am Tisch auf, wirft sich ihre Jacke über und verlässt mit dem kleinen Hund die sich angeregt unterhaltende Runde, während sich der Mann der Hundebesitzerin durch die Dartspielenden kämpft und sich stöhnend neben seine Frau an den Tisch setzt.

Schwungvoll eilt ein dünner Mann in schwarzer Lederjacke mit Fransen und einem Gitarrenkasten die Gaststube und begrüsst das Wirtepaar stürmisch. Ihm schlurft ein müder, bärtiger Mann hinterher.

Etwas später geht die Hundebesitzerin an meinem Tisch vorbei, um eine Zigarette zu rauchen. Sie bleibt kurz bei mir stehen und informiert mich, dass die nette Freundin an ihrem Tisch mit ihrem Hund Gassi gegangen ist, weil sie doch infolge ihrer Gehbehinderung kaum mehr mit ihm spazieren kann. Ich finde das rührend, besser kann Nachbarschaftshilfe wahrlich nicht gelebt werden.

Fortsetzung folgt...